Hessischer Arbeitsmarkt profitiert von Zuwanderung – aber viele Arbeitslose mit Migrationshintergrund haben keinen (anerkannten) Schul- und Berufsabschluss – Mehr Bildungs- und Qualifikationsmaßnahmen für Arbeitslose notwendig

Arbeitsmarkt-Report Hessen, Ausgabe 2. Quartal 2024 –Arbeitsmarktentwicklung bei Menschen mit Migrationshintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit in Hessen (AH Q2/2024).

Die Autoren Stefan Feldens und Philipp Fuchs vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG)  geben im vorliegenden Bericht zunächst einen Überblick über die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hessen (Kapitel 1). Der besondere Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt auf der Arbeitsmarktentwicklung bei Menschen mit Migrationshintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit in Hessen (Kapitel 2). Der Report schließt mit einer Zusammenfassung der Autoren (Kapitel 3). Der Report wird im Auftrag der LAG Arbeit in Hessen verfasst.

Hier finden Sie den ausführlichen Report als PDF-Dokument.

Positive Beschäftigungsentwicklung und Anstieg der Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund in Hessen

Im September 2023 wurde mit knapp 2,77 Mio. ein neues Allzeithoch an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hessen erreicht. Gegenüber September 2019 ist ein Zuwachs in Höhe von +3,5 % zu beobachten. Besonders unter Ausländer*innen (+19,2 %) sowie Menschen aus den acht Asylherkunftsländern (+41,5 %) ist die Zahl der sv-pflichtig Beschäftigten gegenüber September 2019 stark gestiegen. Im Zuge der kriegsbedingten Zuflucht von Menschen aus der Ukraine ist auch bei dieser Personengruppe ein sehr starker Zuwachs bei der sv-pflichtigen Beschäftigung zu beobachten – die Zahl hat sich in etwa verdreifacht (+199,3 %). Bei Deutschen stieg die Zahl lediglich um +0,5 %. Die starken Differenzen offenbaren, dass die Beschäftigungsentwicklung in Hessen (und in Deutschland) ohne Zuwanderung aus dem Ausland stagnieren (und in manchen Regionen Deutschlands sogar negativ ausfallen) würde. (AH Q2/2024, S.1 und 5)

Im Jahr 2022 hatten 36,8 % aller in Hessen lebenden Menschen eine Migrationsgeschichte und 18,7 % keine deutsche Staatsangehörigkeit. Ausländer*innen trugen mit einem Anteil von 18,9 % wesentlich zum hessischen Beschäftigungsgeschehen bei. Jedoch fiel die Beschäftigungsquote weiterhin spürbar niedriger aus als bei Deutschen (15- bis 65-Jährige zum Stand Juni 2023: 54,5 % gegenüber 64,2 %). Ausländer*innen sind ferner deutlich häufiger als Deutsche in instabilen, prekären und lohnschwachen Segmenten tätig.  (AH Q2/2024, S.1)

Hoher Anteil der Arbeitslosen hat Migrationshintergrund – geringes Bildungs- und Qualifikationsniveau stellt große Herausforderung dar

Von den knapp 183.100 im September 2023 erfassten Arbeitslosen (SGB II uns SGB III) hatten rund zwei Drittel einen Migrationshintergrund (66,9 %). Damit sind Menschen mit Migrationsgeschichte im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil (31.12.2022: 36,8 %) überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Während die Zahl arbeitsloser Menschen ohne Migrationshintergrund gegenüber Dezember 2020 um -19,8 % zurückging, nahm sie bei Migrant*innen um +9,7 % zu. Ferner ist das Bildungs- und Qualifikationsniveau von Arbeitslosen mit Migrationsgeschichte spürbar niedriger als bei Arbeitslosen ohne Migrationshintergrund. Von allen Arbeitslosen mit Zuwanderungsgeschichte haben 35,6 % keinen Hauptschulabschluss (Vergleichsgruppe: 12,4 %) und 75,1 % keine (anerkannte) abgeschlossene Berufsausbildung (Vergleichsgruppe: 42,4 %). (AH Q2/2024, S.9)

Geringes Qualifikationsniveau im SGB II – Trotzdem ist die Zahl der qualifizierenden Maßnahmen im SGB II seit 2019 deutlich gesunken

Die Zahl der Menschen, die in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gefördert werden, hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 trotz der seither stark gestiegenen Arbeitslosigkeit im SGB-II-Rechtskreis merklich verringert. Im Januar 2024 ist der Bestand gegenüber Januar 2019 um -21,5 % gesunken, zugleich ist der Arbeitslosenbestand im SGB-II-Rechtskreis um +32,7 % gewachsen. Bei Deutschen (-27,1 %) ist die Rückgangsdynamik des Förderbestands kräftiger als bei Ausländer*innen (-17,1 %). Kritisch zu sehen ist vor allem die übermäßig starke Reduktion bei Menschen aus den acht Asylherkunftsländern (-32,4 %), da die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Rechtskreis bei dieser Gruppe zeitgleich um +39,2 % anstiegen ist und Geflüchtete aus diesen Ländern besonders ausgeprägte Unterstützungsbedarfe haben. (AH Q2/2024, S.14 f)

Entwicklung Bestände arbeitsmarktpolitische Maßnahmen SGB II Jan 2019-2024 in Hessen
Abbildung 6, AH Q2/2024, S.15

Mit Blick auf die Integrationsperspektiven ist die Qualifikationssituation von Arbeitslosen, insbesondere im SGB-II-Rechtskreis sehr besorgniserregend. Problematisch sind die hohen Anteilswerte von Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss, weil das Arbeitslosigkeitsrisiko zuvorderst mit dem beruflichen Qualifikationsniveau zusammenhängt und sich der Großteil der offenen Stellen an qualifizierte Fachkräfte und nicht an Un- und Angelernte richtet. Aufgrund des qualifikatorischen Mismatches auf dem Arbeitsmarkt liegt in der Gleichzeitigkeit einer steigenden Arbeitslosigkeit und eines zunehmenden Fachkräfteengpasses kein Widerspruch. Angesichts des stark formalisierten, zertifikatsfixierten und segmentierten deutschen Arbeitsmarktes hat die im Bericht geschilderte Bestandsaufnahme zur Bildungs- und Qualifikationssituation weitreichende Implikationen für die Ausgestaltung der (Aus-)Bildungs-, Integrations- und Arbeitsmarktpolitik.

LAG Arbeit in Hessen fordert mehr Bildungs- und Qualifikationsangebote für Arbeitslose, die Bürgergeld beziehen

Hierbei dürfen verschiedene Zielgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ob mit oder ohne Migrationshintergrund – ein Großteil der erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher*innen bringt ein geringes Qualifikationsniveau mit. Grundsätzlich bedarf es einer gezielten Förderung sprachlicher und beruflicher Kompetenzen, um den qualifikatorischen Mismatch von erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher*innen auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.

Vor dem Hintergrund des Arbeits- und Fachkräftemangels muss die Bundes- und Landespolitik die Qualifizierung von Bürgergeld-Bezieher*innen wieder in den Fokus rücken. Zumindest die Förderzahlen des Vorkrisen-Niveaus gilt es wieder zu erreichen.

Hier finden Sie den ausführlichen Report als PDF-Dokument.